Was macht der routinierte Modellbauer, wenn es bei den anderen Projekten nicht richtig klappt oder vorwärts geht? Richtig! Er macht eine neue Baustelle auf, solange im Bastelbereich noch genug Platz ist

So ging's mir unlängst auch. Bei der 99 021 geht derzeit nicht viel, bei der Digitalisierung von Chiaras zweiter Lok geht dauernd etwas schief. Also musste etwas her, was die übliche Auszeit überbrückt.
Achtung ISDN-Nutzer: Schon im ersten Posting kommen leider gut 800kB.
Grundlagen
Ein geeignetes Objekt fand sich in einer schon vorgeplanten Weiche. Für meine kleine Segmentanlage benötige ich vier Weichen und zwei Gleissperren. Ich hatte lange nach einem halbwegs geeigneten Weichen-Vorbild mit Holzschwellen gesucht. Das musste möglichst kurz sein und enge Radien haben. Schließlich wurde ich bei den Sammlung von Joachim Schulz im Länderbahn-Forum fündig (der letzte Link am Ende dieser Seite führt zu der Zeichnung).
Diese Zeichnung will ich hier nicht einstellen, wohl aber ein Bildschirmfoto meiner Konstruktion:

Vom Alter, dem Radius (60m = 2,67m bei 1:22,5) und der Neigung (1 zu 6, das entspricht etwa 9,8° Abzweigwinkel) her passte die Weiche nach einer Musterzeichnung der RBD Dresden schon ganz gut für meine Zwecke. Ganz wie das Vorbild konnte ich sie aber doch nicht planen oder bauen, denn das hätte das "Aus" für LGB®-Radsätze bedeutet und damit sicher Streß mit meiner Tochter und Gastfahrern gegeben. Denn die Weiche soll - wie alle "neuen" Gleise - mit Code 200-Profilen bestückt werden (rund 5mm hoch).
Daher habe ich das Vorbild ein wenig "umgebaut", zunächst virtuell. Die größte Änderung betraf das Gelenk der Weichenzungen. Das musste ich um eine Schwelle mehr zur Weichenmitte hin versetzen. Ansonsten hätte ich die Gleisplatten für die Weichenzungen viel zu breit ausbilden müssen, und darunter hätte die Optik weit mehr gelitten (und natürlich unter den zu weit abklappenden Weichenzungen).
Danach hatte ich bei der Planung - und die hat etwa ein halbes Jahr gebraucht - fünf größere Aufgaben zu lösen.
- Die Normen und Standards
Ich habe versucht, einen tragfähigen Kompromiss zwischen den LGB®-Werksnormen von 1976, der NEM 310 und dem Standard S01 der IG Spur II (Link: PDF) zu finden. Das erforderte einige Rechenarbeit und allerlei Geschubsere, gelang dann aber doch - wenn auch nur mit Einschränkungen. Das Hauptproblem war und ist das Zusammenspiel von Radsatzinnenmaß B (in Abhängigkeit von der Spurkranzbreite) und das Maß K mit den Radlenkern bzw. Flügelschienen (Maße F und C). Es ist durchaus möglich, bei den Kompromissen unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Klaffende Flügelschienen am Herzstück wollte ich jedoch nicht haben. - Die Weichenzungen
Natürlich können die schönsten Zungen gefräst und/oder gegossen werden. Ich wollte eine Handarbeitslösung. Dieser Punkt hat mich fast zur Verzweiflung getrieben. Dazu später mehr. - Die Teilbarkeit
Die zwei Rechtsweichen auf der geplanten Anlage werden fast schon ineinander verschachtelt sein. Es muss möglich sein, die Weiche schon nach 600mm zu trennen (siehe rote Linien in der Skizze oben. Die Standard-Länge beträgt rund 789mm). - Die Gleissperren
Was hat eine Gleisperre mit einer Weiche zu tun? Durchaus viel! Bei hinreichend hohen Profilen klappt der Sperrkeil um etwa 110° von der Schiene ab. Sein oberes Ende liegt dann fast obenbündig zur Schienenoberkante. Bei so niedrigen Profilen (hier Hegob-Profile aus Neusilber) ist das aber nicht so und verletzt damit das Lichtraumprofil bzw. den umbauten Raum. Also musste zunächst geprüft werden, ob es möglich ist, eine Gleissperre mit einer Geometrie aufzubauen, bei der der Sperrkeil abgelegt tief genug liegt. Wäre das nicht gegangen, hätte ich meine Profil-Entscheidung eventuell noch einmal überdacht. - Antriebe und Elektrik
Darauf komme ich später noch zu sprechen, zumal die Aufgabe noch nicht ganz gelöst ist.
Zunächst wurden bei Hegob die nötigen Teile bestellt. Old Pullman-Nägel waren noch genug vorhanden, dito etwas Sperrholz. Und ein freundlicher Buntbahner hat mir meinen Vorrat auf Lebenszeit an Schwellenprofilen geschnitten - dafür ein herzliches Dankeschön! Thomas Engel war so nett und lieh mir für ein paar Tage seine geerbte Schienenrollmaschine - ein echtes High-End-Teil feinster Bauart mit Messuhr und allem pipapo - vor allem aber zum Hegob-Profil passenden Rollen.

Bei 2.670mm Radius ist die nicht wirklich nötig - das geht auch über den Daumen, den Bauch oder das Knie. fido hat's zuletzt in Dischingen mit Bauch bewiesen

Vor dem Bau kommt natürlich die Schablone. Die wurde - von einem PDF - im Copyshop ausgedruckt. Daheim kam dann der typische Frust: Der Ausdruck ist 1,5% zu lang.

Da ich andernorts schon nicht zu zufrieden bin, habe ich mir gedacht: Egal, das machst Du passend. Am ersten Abend wurden die Schwellen vorbereitet und aufgeklebt, nachdem zuvor an einem Wochenende die Trasse in bewährter Puzzle-Manier aus 6mm starkem Vielschicht-Sperrholz ausgeschnitten worden war. Der Vergleich mit einer LGB®-R3-Weiche zeigt ein paar kleine geometrische Unterschiede


Da sich bei den Klebe- und Beizarbeiten das Trassenbrett gerne verzieht (was unerwünscht ist), wurde es provisorisch mit Spax® auf zwei (gerade!) Stücke abgelagerter Dachlatte geschraubt.
Zu den Vorbereitungen gehörte es auch, eine passende Ätzvorlage für 0,6mm-Neusilber zu zeichnen und die voller Vertrauen Thomas Engel und seiner Hochleistungs-Galvano-Crew in die Hand zu drücken (dies digital). Die Teile für eine Weiche und einen Gegenbogen lassen sich gerade 'mal so auf 150 × 200mm Fläche unterbringen.

In der Höhenmitte links ist die Herzstück-Grundplatte, darunter sind die Weichenzungenteile, ganz unten links die beiden Weichenzungen-Platten und rechts die Platten für die Aufdoppelungen der Gleitstücke für die Weichenzungen. In der Mitte rechts von der Herzstück-Grundplatte sind zwei Lagen für die Herzstückmitte (als Spurkranz-Auflage).
Neusilber ist zwar sehr viel härter als Messing (und sieht bei Kratzern eher nach Eisen aus), hat aber auch einen Nachteil. Bei großen tief geätzten Flächen gibt's ein Oberflächenspannungs-Problem. Das zeigt sich besonders bei den Weichenzungen-Grundplatten (die immerhin 16 Zentimeter lang sind).

Darum wurden die Grundplatten vor dem Auflöten der Gleitbahnen mit zwei Schienennägeln auf einer Dachlatte befestigt.
Das Vorbild ist auch deswegen gut für den Nachbau geeignet, weil alle vier Schienen schon vor dem Herzstück einmal getrennt sind (wahrscheinlich aus Transportgründen). Das ist natürlich optimal für eine unauffällige Isolierung des Herzstück-Bereichs. Die an den inneren Volltrennstellen nur aufgeklebten Laschen-Imitate ergaben noch einen Durchgang von etwa 300 KiloOhm. Ein Streifen Papier als Unterlage entfernte auch den. Außen sind die Schlitze nur Dummies für die Optik. Echte Schrauben gehen leider nicht wegen der LGB®-Spurkränze


Von Holger Steinberg kam der gute Tipp, an den Stößen der Isolierung wegen thermisch bedingter Längungen noch eine Isolierung einzukleben - das werde ich nachholen.
Da ich ein Freund praktischer Lösungen bin, habe ich mir gleich die nächste Abweichung vom Vorbild gegönnt. Aus Schienenprofilen gebaute Radlenker und Flügelschienen (die inneren Radlenker am Herzstück) haben normaler Weise die selbe Oberkante wie die Backenschienen (die äußeren Profile). Aus Winkeln gebaute Radlenker sind meist höher.
Beides ist aber auf elektrisch betriebenen Modellbahnen recht unpraktisch, da es die Gleisreinigung sehr behindert. Daher habe ich die Profile der äußeren Radlenker oben und unten um je etwa 0,1mm abgefeilt und dann mit Schleifpapier bis zu 1.000er-Körnung wieder geglättet. Dadurch werden später dort vorhandene Farben oder Rost nicht mehr angegriffen. Ein Richtklötzchen mit einer parallel auf Platten und Schwellen gelegten Schiene zeigt, ob's langt.

Etwas kniffliger war das innen. Da sollte nur oben abgearbeitet werden, damit der Fuß schön plan bleibt. Dadurch verändert sich natürlich die Kopfform - außerdem sollte die Lichtspiegelung den fiesen Kunstgriff nicht verraten. Bis das soweit war, dauerte es dann doch ein bisschen. Anders als zunächst befürchtet lässt sich das Hegob-Neusilber-Profil sehr gut bearbeiten (Span-abhebend und verformend), sodass ich meine extra gekaufte, neue Feile mit Hieb 2 bald weg legte und auf meine geliebte Flachfeile mit Hieb 3 zurück griff. Im abzweigenden Strang der Schienen seht Ihr bei genauem Hinsehen zwei Lötstellen - das ist das Ende des Gleisbogens vor dem Herzstück bzw. der Übergang zum geraden Teil des abzweigenden Strangs der Linksweiche.

Hier noch ein ganz übler und darum kleiner Schnappschuss der Weichenzungen-Platten. Das war nicht so mein Foto-Tag


Die nächste Abweichung zum Vorbild ergibt sich beim Herzstück. Im Original war das aus Guss - Schienennägel oder Schwellenschrauben waren also in seinem Bereich nicht nötig, letztere nur zur Befestigung der Grundplatte. Das war mir aber zu "windig". Darum habe ich dem Bereich doch acht Schienennägel gegönnt. Bei nur vier Weichen mit je sechs Schrauben erlaubt (mittelfristig) der Modellbahn-Etat auch die Verwendung der Hegob-Schwellenschrauben, sodass Max 25km/h nicht mit Begehrlichkeiten belästigt werden musste.

Es war nicht ganz einfach, die Radlenker und das Herzstück so hinzufummeln, dass die größte mögliche Kompatibilität erreicht wird. Holger Steinberg war mir dabei eine große Hilfe und gab mir vor allem den Tipp, die Spitze soweit irgend möglich zur Weichenspitze hin zu verlängern und sie durchgehend auf Schienenoberkanten-Höhe zu belassen.
Natürlich lief der Referenz-Radsatz von "Schrauber" Tomas sofort durch. Fast ebenso war's bei einem nachgerichteten LGB®-Radsatz und einem von Märklin, der der NEM 310 entspricht. Lediglich mit einem Hübner-Finescale-Radsatz (der sehr schmale Räder hat und ein extremes Radsatz-Innenmaß) gab es Kummer. Der Radsatz fiel zu lang in die Schiene und konnte an der Herzstück-Spitze aufklettern.
Je nach Spurkranz-Breite sind nun Radsatz-Innenmaße zwischen 39,8 und 40,7mm okay. Das trifft die Normen und Standards nicht ganz, denn beispielsweise die IG Spur II fordert ein Minimum von 40,9mm bei einem maximalen Radlenker-Abstand von 2,5 statt 2,8mm (NEM). Mir scheint es aber ein akzeptabler Kompromiss zu sein - jedes Zehntel weniger beim Maß F (Radlenker-Abstand) hätte das "Aus" für die meisten LGB®-Fahrzeuge bedeutet.
Jetzt steht die spannende Aufgabe der Weichenzungen an - aber das ist eine andere Geschichte und wird ein anderes Mal erzählt werden.
Beste Grüße,