Heute möchte ich Euch mal meinen Bahnhof mit einer kurzen Geschichte vorstellen. Der kleine Bahnhof „Lohe“ liegt weit von der eigentlichen Ortschaft entfernt an einer imaginären Nebenbahn. Normalerweise ist hier kaum etwas los. Doch heute kommt es anders:
Langsam neigt sich ein sonniger Herbsttag dem Ende entgegen. An solchen Abenden breitet sich immer eine ganz eigentümliche Atmosphäre über den Gleisanlagen aus, die der Hektik des Tages entgegenzuwirken scheint. Friedlich und still liegt der Bahnhof da. Nur in der Ferne bellt ein Hund und irgendwo tuckert ein Traktor. Ansonsten rührt sich kein Lüftchen. Doch dann klingelt das Telefon. Ein Zug kündigt sich an.
Schon wenig später durchbricht Ng 8215 die abendliche Stille und kommt mit kreischenden Bremsklötzen vor dem Ausfahrsignal zum Halten. Normalerweise rollt der Zug hier ohne Halt durch doch heute zeigt das Signal unverändert „Halt.“ Was mag da los sein?
Schnell stellt sich heraus, dass der aus der Gegenrichtung kommende Personenzug Verspätung hat. Daher wurde die Kreuzung mit dem Güterzug vom Nachbarbahnhof nach Lohe verlegt.
Kaum ist der Triebwagen in den Bahnhof gerumpelt, sieht das Personal des Güterzuges gespannt auf das Ausfahrsignal. Der Bläser zischelt, die Luftpumpe schmatzt und Wasser rinnt von den Kolbenstangen. Es müsste jeden Moment weiter gehen. Doch das Ausfahrsignal bleibt geschlossen.
Der Mann mit der roten Mütze und der „Kelle“ unter dem Arm ist hier der Chef im Haus. Nun kommt er auf den Bahnsteig, um Kontakt mit dem Lokpersonal aufzunehmen:
„N’abend Kollegen. Ich kann Euch noch nicht weglassen, weil da noch was kommt.“
„Was soll denn da noch kommen,“ brummt der Lokführer
„Keine Ahnung. Laut Fahrplananordnung irgendwas ganz Dickes mit Lademaßüberschreitung. Auf jeden Fall dauert das noch eine Weile.“
„Das kann doch wohl nicht wahr sein. Kollege, verstehe mal, in gut zwei Stunden is Fußball und dann will ich die Lok im Schuppen haben und gewaschen vorm Fernseher sitzen.“
Das dauert ja wieder eine Ewigkeit
Dann kommt der Sonderzug mit Lademaßüberschreitung in den Bahnhof gerollt. Im Schritttempo quält sich der Zug durch die Weiche und am Signal vorbei, damit der große Trafo bloß nirgendwo anstößt.
Kaum ist der Zug im Bahnhof, zeigt das Ausfahrsignal für unseren Ng 8215 „Ausfahrt frei.“ Jetzt gilt es. Der Lokführer öffnet vorsichtig den Regler, damit die Räder nicht schleudern. Noch ein Stück, noch ein Stück und schon ruckt der Zug an. Der Meister versteht sein Handwerk. Nach ein paar Metern kann er den Regler weiter öffnen und die kleine Maschine legt sich in die Stangen, schaukelt hin und her, zerrt am Zughaken und strebt dem Feierabend entgegen.
Durch die klare Abendluft kann man noch lange hören, wie der Zug mit wuchtigen Auspuffschlägen beschleunigt und als auch die Lademaßüberschreitung den Bahnhof verlassen hat, kehrt endlich wieder Ruhe ein.