Hallo,
inzwischen ist der uns bekannte Leitende Projektbeauftragte für
den Wiederaufbau der GMB, Genosse Nikita Sergejewitsch C., aus seinem
Urlaub im Kaukasus auf seine Baustelle im Thüringer Wald zurückgekehrt.
Aus Erfahrung weiß er, dass er in den ersten Tagen nach Urlaubsende
ein Vielzahl von dringlichen Entscheidungen zu treffen haben wird.
Denn seine Untergebenen wagen es nicht, während seiner Abwesenheit
für ihn stellvertretend zu entscheiden.
Sie fürchten seinen sich schnell entfachenden Zorn.
Im Urlaub hatte er sich entspannt und sich der milden Stimmung des Südens
hingegeben. Solche Augenblicke aufgeräumter Verfassung nutzt
Frau Nina Petrowna Chruschtschowa, die beste aller Ehefrauen, um bescheidene Bitten
vorzubringen. Sie bat also ihren guten 'Niki', doch noch über
den Urlaub hinaus bei ihm bleiben zu dürfen, um ihn in den 'Wilden Westen',
zum Thüringer Wald hin, zu begleiten.
Nikita Sergejewitsch C. gefiel der Plan. So konnte er seiner Nina einmal
praktisch vorführen, welche Machtfülle in seinen Händen lag und wie er diese
geschickt einzusetzen verstand, um sowohl den Plan zu erfüllen als auch die
Dinge für seine Person bekömmlich zu gestalten.
Als er sich in seinem Baustellenbüro berichten ließ, erfuhr er auch
von dem Stillstand der Planierungsarbeiten im Orte Oberhof. Die Deutschen
hätten sich geweigert, die im Vorprojekt festgestellte Trasse so wie
geplant innerorts vorzutreiben.
Als Grund für den Arbeitsstillstand gäben die Deutschen an, dass ein für sie
wertvolles historisches Erbe durch den Plan der sowjetischen Freunde
zerstört würde. Das Antasten deutschen Kulturgutes, so sagten die Deutschen,
gefährde die noch zarten deutsch-sowjetischen Freundschaftsbande.
Nikita dachte bei sich 'Saubande' und sagte laut in die Runde, dass er,
- eingedenk der Leninschen Dialektik über Vertrauen und Kontrolle -,
sich selbst vor Ort ein Bild machen wolle.
So geschah es, dass Frau Nina Petrowna Chruschtschowa zusammen mit ihrem
'Niki' vom Fahrer im Dienstwagen hoch nach Oberhof chauffiert wurde.
Ihr Quartier fand sich leicht in einem der renommierten Häuser, die seit
den letzten Kriegstagen in die Obhut der Roten Armee genommen worden waren.
Die erste der nachstehenden Aufnahmen zeigt das Ehepaar C. vor dem Erbstück aus
dem deutschen Kulturgute.
Frau Nina, verdüstert (Oskar)
Frau Nina ist sichtlich verdrossen.
Sie versteckt vor ihrem guten 'Niki' ihre Enttäuschung nicht.
Sie hat noch die Worte des Übersetzers im Ohr:
"Schon in ur- und frühgeschichtlicher Zeit kamen Menschen nach Oberhof. Sie
nutzten einen Paßweg als Übergang über den Thüringer Wald."
"Auf der Höhe des Passes hatten später Ordensritter von der Johanniter-Komturei
in Weißensee ein Hospiz errichtet, das Reisenden in rauher Waldeseinsamkeit
eine Herberge bot."
"Die Johanniter nannten ihr Hospiz den 'Oberen Hof'. Um das Hospiz herum
siedelten sich Holzfäller, Köhler und Pechbrenner an. Sie wohnten, wie sie
zu ihrem Wohnort sagten, in 'Oberhof'."
"In der Reformationszeit verließen die Johanniter-Ordensritter das Hospiz.
Die Gebäude verfielen. Lediglich die bis heute erhaltenen massiven Reste
des einst so stattlichen Oberen Hofes erinnern die Nachfahren der einstigen
Holzfäller, Köhler und Pechbrenner daran, wie ihr Wohnort zu seinem
Namen kam."
Aber dann hatte sie schon nicht mehr zugehört, weil der Übersetzer sie und
ihren guten 'Niki' zu einen Rundgang um das Gemäuer genötigt hatte und sie,
auf dem Trümmerschutt einherwankend, auf ihre guten, neuen Schuhe achtgeben
mußte. Jetzt auch noch das Erinnerungfoto aus dem Urlaub, dachte sie erbittert.
Frau Nina drängte ihren guten 'Niki', den Rundgang abzukürzen, ja, ihn sofort
zu beenden. Der Übersetzer meinte später, das Wort 'Abbruch' aus Frau Ninas
Munde vernommen zu haben.
So kam es dann auch.
Das zweite und direkt hiernach folgende Foto zeigt eindeutig, dass das Gemäuer
quer über der Trasse errichtet wurde. Dies ist ebenso eindeutig der für den
Abriss des Gemäuers tatsächlich ursächliche Fakt.
Frau Nina wünscht Abbruch (Oskar)
In der Rückschau kann jedoch der Auffassung des Übersetzers ebensowenig
widersprochen werden. Ihr zufolge gab Frau Nina, - natürlich in der Sprache
einer ehelichen Beziehung chiffriert -, den Befehl zum Abbruch des ihr
Unbeqemlichkeiten, ja auch Gefährdung ihrer kostbaren Gesundheit und
auch der ihres guten 'Niki' verursachenden Gemäuers.
Bei so vielen guten Gründen zögerte denn der Genosse Nikita Sergejewitsch C.
nicht, den ihm bekannten Oberst der Pioniere auf dem nahegelegenen Stützpunkt
der Roten Armee bei Ohrdruf anzurufen. Er ersuchte den Pionieroberst, umgehend
eine Nachtübung mit Sprengmitteldemonstration anzusetzen. Gegenstand und Ziel
der Übung sei das alte Gemäuer in Oberhof, gar nicht zu verfehlen, da nahe
Ortsmitte.
Der Pionieroberst verfehlte nicht, er kam, sah und sprengte.
Weil der Mensch am Überkommenen hängt, schufen die Nachfahren der
einstigen Holzfäller, Köhler und Pechbrenner sich einen neuen Erinnerungsort.
Als von dem Donner der Sprengung lediglich noch in der Erinnerung ein ferner
Nachhall übrig geblieben war, benannten sie eine Gaststätte an der
Crawinkeler Str. 1 so, wie die Johanniter ihr einstiges Hospiz
genannt hatten, nämlich 'Oberer Hof'. Und die Ortgruppe der DSF traf sich
regelmäßig dort im nach hinten hinaus gelegenen 'Johanniter-Stübchen'.
Bis bald!
Oskar