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Re: Kunststoff Tiefziehen II (Combino Frontscheibe)

Verfasst: Mi 19. Mär 2008, 20:55
von Terrassenbahner a.D.
Kommt, Ottmar... versprochen! (Ich hoffe im landläufigen Wortsinn, und nicht in dem anderen!) Hatte leider ein klinisch bastelfreies Wochenende - der Osterhase sollte dem aber abhelfen, hoffe ich. :grosseaugen: :boggle: 8-[

Re: Kunststoff Tiefziehen II (Combino Frontscheibe)

Verfasst: Di 25. Mär 2008, 22:36
von Terrassenbahner a.D.
So meine Lieben,

das Osterhasi :flopsy: (oder war es doch der Nikolausi?) hat tatsächlich ein Bisserl Zeit zum Basteln im Garten versteckt. Nur habe ich wegen dem Schnee wieder nicht alle gefunden, denke ich...

Nichtsdetowenigertrotzdem, es ist Zeit zu :schreiben:

Teil II - Das zieht sich

Das Spiel beginnt mit dem Rohling, in diesem Fall 2,5mm starker transparentes ABS oder Polystyrol (oder was immer der Orange BIber einem andreht).

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Nach einer Runde Tischkreissägen kommt dieser Rohling...

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... in den vorbereiteten Rahmen. Wie aus den folgenden Bildern noch deutlich werden wird, besteht dieser in der Hauptsache aus drei 12mm Betonbauplatten (oder wie die Dinger heissen), in meinem Fall im Format 250x400mm. Davon dienen zwei mit einem 150x300mm großen rechteckigen Loch als Spannrahmen für den Rohling.

ACHTUNG - unbedingt eine Ecke des Bretterstapels markieren und die Bretter sicherheitshalber durchnummerieren. Aber das erkläre ich wohl lieber bei Bedarf in Teil III.

Wichtig ist, dass man eine Dichtung zwischen Rahmen und Rohling vorsieht, ich habe Dichtband aus dem Trockenbau-Bereich genommen. Das gibt es im Baumarkt; dafür spricht, dass Trockenbau ja eine recht hohe Brandschutzklasse erfüllt, also das Dichtband relativ hitzebeständig ist. Ferner klebt das Zeug wie sonstwas. Ausserdem hatte ich noch eine Rolle im Keller.....

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Ganz wichtig ist auch, dass die Spannschrauben des Rahmens versenkt sind, denn dieser muss bündig auf dem "Vakuumgerät" (siehe unten) aufliegen.

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Der Rohling kommt also auf den unteren Rahmenteil...

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... und darauf kommt der obere Rahmenteil, der auf der dem Rohling zugewandten Seite auch mit Dichtband versehen ist (OK, das muss nicht unbedingt sein). Es reicht, die Muttern handfest anzuziehen. Flügelmuttern sind sehr zu empfehlen, das muss ich noch nachrüsten.

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Und hier nun das "Vakuumgerät": man erkennt 10 M8-Schrauben (die Type, die unten Linsenköpfe und Vierkante hat), natürlich Dichtband, und im Bereich des Rahmen-Lochs die sechs Absauglöcher. Oben im Bild sieht man schon die Absaugschläuche, dabei handelt es sich um 16mm-Leerohr aus der Elektroabteilung (Vorsicht - das Zeug ist nicht hitzebeständig!). Rechts im Bild die M8-Flügelmuttern und Unterlegscheiben, die man aber nur braucht, wenn man noch mit der Heissluftpistole nacharbeiten muss.

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Und hier der gesamte Versuchsaufbau mit der "Pumpe komma Vakuum komma Haushalt". Der Staubsauger darf ruhig auf maximaler Leistung stehen... Der Verteiler besteht aus einem 10er Abflussrohr (genauer gesagt, einem Verbindungsstück mit integrierten Dichtungen und zwei passenden Abschlussdeckeln). In die Deckel sind einfach mit 14er Bohrer und Lochsäge die passenden Löcher gebohrt, der Staubsauger nur auf Presspassung eingesteckt. Die Absaugschläuche sind beiderseits mit Fugendichtmasse abgedichtet, ebenso die Köpfe der Schrauben, die die "Tischbeine" halten.

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Auf dem Bodenbrett werden die Formen ausgerichtet. Dabei ist auf ausreichen Abstand vom Boden und vom Rahmen zu achten - die Ränder des Rohlings werden wegen der Kühlwirkung des dicken Rahmens nicht heiss genug und Ecken in Bodennähe werden nur gerundet abgebildet - dazu ist das Vakuum nicht stark genug und der Boden zu kalt.

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Wie das in Kochrezepten immer so schön heisst: Den Backofen auf 250°C vorheizen. Ganz normal, Heissluft muss gar nicht sein. Bitte vorher (!) testen, ob der Rahmen stehend im Rohr Platz hat. Ein Rost auf der untersten Einschubebene kann nicht schaden, wenn's geht.

Wie man sieht, ist der Rahmen dick genug, um halbwegs sicher zu stehen. Die Handschuhe im Vordergrund sind aus dem Bäckerei-Bedarf. Für eine oder zwei Anwendungen tun es auch dicke, gefütterte Leder- oder Arbeitshandschuhe. Will man Kleinserien auflegen, lohnt sich der Gang zum kleinen Bäcker um die Ecke, der sowas über die Genossenschaft besorgen kann. Im Gastro-Bedarf gibt es Ähnliches - doch sind solche Handschuhe gewiss nicht billig. Eben Profi-Qualität!

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So bald der Ofen auf Temperatur ist, rein mit dem Teil.

Wie weich das Zeug schon ist, kann man von aussen nicht feststellen. Ungefähr drei bis fünf Minuten sollten es tun.

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ACHTUNG, jetzt muss es schnell und sicher gehen. Klappe auf, nochmal mit dem behandschuhten Finger auf Konsistenz des Rohlings testen (zäh, aber beweglich, wie Baumharz oder Gummibärchen).

Raus mit dem Teil, sofort auf das Bodenbrett zirkeln, sanft aufpressen, mit einer Hand halten, mit der anderen den Staubsauger anwerfen.

Wenn alles geklappt hat, sieht das Ergebnis binnen Sekunden so aus:

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Zehn Minuten abkühlen lassen, dann kann man den Rahmen abnehmen. Die Formen werden mitkommen! Theoretisch könnte man jetzt das Werkstück aus dem Rahmen nehmen und den nächsten Rohling verziehen, aber dafür braucht man dann mehrere Formen!

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Hier das Werkstück auf einer kontrastreichen Unterlage (Schleifpapier). Man kann schon erkennen, dass sich mehrere Hinterschneidungen ergeben haben - und auch, dass die Hitze dem Karosseriespachtel auf der Holzmodel übel mitgespielt hat - auch dazu noch mehr.

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Und das passiert, wenn man den Rahmen in den Backofen legt - zum Glück war ein Blech drunter, den Rost hätte man wegwerfen können. Merke: Heisses Polystyrol klebt. Darum sollten auch die Formen kalt sein, damit die Oberfläche des Plastiks sofort abkühlen kann. Auch der kurze Weg vom Ofen zum Vakuum-Brett tut da schon gut.

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Jetzt kommt der mühsame Teil. Die gewünschten Teile müssen jetzt aus dem Werkstück herausgesägt werden. Es empfiehlt sich der Einsatz einer Laubsäge - und die schmiert noch wie Teufel. Auch die kleinen, dünnen Kreissägeblätter die es für Drehmel & Co gibt, haben sich als hilfreich erwiesen. Achtung - das Material ist sehr spröde.

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Irgendwann geht dann mal die Form unter Einsatz wohldosierter roher Gewalt heraus und der große Bandschleifer mit 40er Schleifband sorgt dafür, dass alles weg ist, was weg gehört.

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Und das ist dann das vorläufige Ergebnis - einziges Problem ist hier die oben genannte Spachtelmasse, deren (vielleicht noch nicht 100%ig trockenes) Lösungsmittel das Plastik angegriffen hat. Aber das ist nicht weiter schlimm, und dürfte sich mit Acryl-Polierpaste (Rot-Weiss) auspolieren lassen. Die Bläschen lassen sich nicht ganz verhindern - vielleicht kann man da auch noch an der Temperaturschraube drehen. (Nicht an den Kratzern links oben stören, das war ich selber mit der Laubsäge.)

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Noch ein Hinweis: Alle Abformungen direkt an der Form sind messerscharf. Gebrochene Kanten an der Form bieten sich also an. Gleichzeitig sind alle der Form abgewandten Kanten sehr rund. Negativformen bieten sich also in vielen Bereichen an - mit Absauglöchern, versteht sich, etwa im Bereich von Dachlüftern oder Scheinwerfern.

So, das war es mal soweit - wenn jemand jetzt auch noch Hilfe beim Holzbau möchte, kann ich das auch noch in einem dritten Teil nachliefern.

Gutes Gelingen allerseits,
Georg

Re: Kunststoff Tiefziehen II (Combino Frontscheibe)

Verfasst: Mi 26. Mär 2008, 01:02
von Stoffel
Hi Georg,


Genial :!: :!:

Um ganz ehrlich zu sein: ich hab´s nicht in allen Schritten genau verstanden. Dazu muss man es wahrscheinlich selbst probieren. :gruebel: (wird nachgeholt. :oops: :oops: )
Egal, wieder eine weitere Methode, um vorbildgerecht Probleme zu lösen :gut:


Grüsse vom St :shock: ffel

Re: Kunststoff Tiefziehen II (Combino Frontscheibe)

Verfasst: Mi 26. Mär 2008, 08:59
von hajo
Hallo Georg,

vielen Dank für Deinen aufschlußreichen Beitrag und die Mühe damit es Mund- und Augengerecht aufzubereiten!

SUPER! Da eröffnen sich allerhand Möglichkeiten, stellt sich nur noch die Frage wann man allein in der Küche ist :wink:

Beste Grüße Hajo

Re: Kunststoff Tiefziehen II (Combino Frontscheibe)

Verfasst: Mi 26. Mär 2008, 09:42
von Funkenschleuder
Hallo Georg,

mir fehlen die Worte :!:

:respekt: :respekt: :respekt: :respekt: :respekt: :respekt: :respekt:

Re: Kunststoff Tiefziehen II (Combino Frontscheibe)

Verfasst: Mi 26. Mär 2008, 15:28
von Terrassenbahner a.D.
@Stoffel
Dann taugt die Beschreibung nichts - aber Du hast schon recht, selber probieren macht die Funktionsweise viel klarer.

Nachtrag:
Das Verfahren funktioniert natürlich auch mit allen anderen thermoplastischen Kunsstoffen - zum Beispiel dem beliebten weissen Polystyrol.

Re: Kunststoff Tiefziehen II (Combino Frontscheibe)

Verfasst: Mi 26. Mär 2008, 20:29
von binario uno
Hallo Georg

Grossartig :!:


Vielen Dank für die gute Idee und die super Berichterstattung!

Re: Kunststoff Tiefziehen II (Combino Frontscheibe)

Verfasst: Do 27. Mär 2008, 17:53
von ottmar
Hallo Georg,

GEIL!

sorry für die Ausdrucksweise, aber die Methode ist hammermäßig..

..mir fehlen sonst erst mal die Worte. Damit düfte ein Spatz machbar sein...

Vielen Dank und Gruß Ottmar

Re: Kunststoff Tiefziehen II (Combino Frontscheibe)

Verfasst: Do 27. Mär 2008, 20:12
von Terrassenbahner a.D.
Hallo Ottmar,

allerdings würde ich Dir beim Spatz raten, die Nase wegen der Kanten entweder als Negativ-Form oder in zwei bis drei Teilen auszuführen. Spannend wird das auf jeden Fall!

Georg