Zweisystem-Stadtbahnwagen der Karlsruher AVG in Spur II

Selbstgebaute maßstäbliche Schienenfahrzeuge mit/ohne handelsüblichen Zurüstteilen

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Lupinenexpress
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Zweisystem-Stadtbahnwagen der Karlsruher AVG in Spur II

Beitrag von Lupinenexpress »

Mahlzeit,

was Bastelberichte angeht, bin ich die letzten Jahre über etwas nachlässig geworden, sodass es jetzt etwas Nachholbedarf gibt. Anfangen möchte ich mit dem Zweisystem-Stadtbahnwagen der Karlsruher AVG in der Spur II:


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Für diejenigen, die den Hintergrund nicht kennen, hier eine kurze Zusammenfassung:

Die Zweisystem-Stadtbahnwagen kommen auf Systemen zum Einsatz, die – benannt nach der Stadt ihrer Einführung – als „Karlsruher Modell“ bezeichnet werden.

Dies bezeichnet die Verknüpfung von Eisenbahn- und Straßenbahnstrecken, um umsteigefreie Verbindungen zwischen Stadt und Umland anzubieten.

Jeder kennt klassische Überlandstraßenbahnen oder überlandstraßenbahnähnliche Kleinbahnen. Im Gegenzug gibt es natürlich die Eisenbahnen, welche wie S-Bahnen auch Stadtgebiete von Metropolen grobmaschig erschließen.

Aber die Verknüpfung ganzer Linien über Systemgrenzen hinweg war etwas völlig Neues: Eine Bahn verkehrt aus dem Umland unter Mitnutzung der Infrastruktur der Fern- und Güterzüge in die Stadt und fährt in der Stadt im Mischbetrieb mit regulären Straßenbahnen weiter.



Die Historie dazu geht in Karlsruhe bis in die 50er Jahre zurück, als man die stilllegungsbedrohte, schmalspurige Albtalbahn übernahm und bis in die 70er auf Regelspur umspurte und mit dem bestehenden regelspurigen Karlsruher Straßenbahnnetz verknüpfte:



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(die beiden historischen Fotos aus der Umbauzeit sind von Werner Rabe)

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Der nächste Schritt war die Übernahme der Hardtbahn von der DB in den 70er und 80er Jahren, bei der Straßenbahnzüge eine Eisenbahnstrecke kamen. Die Elektrifizierung erfolgte mit der für Straßenbahnen üblichen Gleichspannung. Der verbleibende sporadische Güterverkehr wurde weiter mit Dieselloks abgewickelt.


Nun ist die Nutzung einer Eisenbahnstrecke durch eine Straßenbahn trotz Spurweitengleichheit nicht ganz so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Schließlich müssen Fahrzeuge auch nach beiden Betriebsordnungen zulassungsfähig sein. Derartiges kennt man ja beispielsweise auch von der OEG oder RHB, die allerdings autarke Eisenbahnnetze sind.

Die Mischnutzung mit einer „richtigen“ Vollbahn bot da schon andere Probleme: Straßenbahnen haben schmale Radrücken/Spurkränze und würden auf Eisenbahnstrecken bei Weichen in die Herzstücke plumpsen, Eisenbahnen hingegen haben so dicke, dass sie in den Spurrillen der Straßenbahn feststecken würden.
Die Lösung war ein Radreifen, welcher unterhalb der Schienenoberkante so schmal ist wie der einer Straßenbahn und oberhalb so breit wie der einer Eisenbahn, sodass die Radlenker der Weichen das Rad in der Spur halten können.

Dieses Problem hatte man in Karlsruhe also schon gelöst, ebenso natürlich in Frankfurt, wo es nach Bad Homburg und Oberursel auch einen Mischverkehr gab.


Ein Übergang auf das elektrifizierte Eisenbahnnetz der DB war dennoch nicht möglich, verkehren doch die Straßenbahnen mit 750 Volt Gleichspannung und die Eisenbahnen mit 15 kV Wechselspannung.




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Und genau diesem Problem hat man sich in Karlsruhe Ende der 80er Jahre angenommen und nach Ideen mit Akkus einen Zweisystemstadtbahnwagen entwickelt, der innerhalb der Stadt als Straßenbahn unter Gleich- und außerhalb der Stadt als Eisenbahn unter Wechselspannung verkehrt.


Ein neuer Fahrzeugtyp wurde von DÜWAG / ABB /Henschel entwickelt. Wagenbaulich basieren diese Fahrzeuge auf dem in den 70ern für die U-Stadtbahnsysteme Nordrhein-Westfalens entwickelten Stadtbahnwagen B, hier der Kölner Ursprungstyp:

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Daraufhin ist das Karlsruher Stadtbahnnetz binnen kürzester Zeit um viele hundert Kilometer ins Umland gewachsen und gab zahlreichen Menschen eine attraktive Verbindung ohne Umsteigen in die Karlsruher Innenstadt.

Diese Entwicklung war seit den 60er Jahren eng mit der Person Dieter Ludwig verbunden: https://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Ludwig

Nun waren sicher viele an diesem großen Erfolg beteiligt, doch kann man sagen, dass es ohne sein Engagement und ohne seine Hartnäckigkeit nie so weit hätte kommen können.


Mit dem Ausbau des Netzes, gab es dann auch außerhalb Karlsruhes neue eigenständige Straßenbahnabschnitte, welche eine Feinerschließung abseits der Bahnhöfe ermöglichen. So etwa in Bad Wildbad oder Wörth.



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In Heilbronn, wo die letzte Straßenbahn in den 50ern fuhr, entstand sogar ein eigenes Netz innerhalb der Stadt.



Die Idee der Zweisystemstadtbahn, oder „TramTrain“, wie man sie inzwischen auch nennt, ist so genial, dass sie auch außerhalb Karlsruhes Anwendung findet. So etwa in Saarbrücken, Chemnitz, Kassel, Sheffield, Szeged, Paris, Mulhouse, … usw…

Ein vollständig neues System um die Städte Reutlingen und Tübingen ist mit der Stadtbahn Neckar-Alb derzeit in Bau.
Auch Ludwigsburg, derzeit noch ohne Straßenbahn, soll ein derartiges System bekommen.


Eine Doku von Eisenbahnromantik dazu gibt es hier:
https://www.youtube.com/watch?v=SzqyNxW6GWw




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Buchmäßig gehören einige der Stadtbahnwagen zur DB, wo sie als BR 450 geführt werden.




Ich selbst kenne das System nun auch schon lange und bin während meines Studiums in Karlsruhe und Heilbronn – beide verbunden durch eine Zweisystem-Stadtbahnlinie – auch intensiv in Kontakt damit gekommen.

Inzwischen gibt es schon drei Generationen an Zweisystemern, eine vierte steht kurz vor Auslieferung.

Persönlich haben mir die Züge der ersten Generation jedoch am besten gefallen, sodass ich mich für mein Modell für ein solches Fahrzeug entschied.



Dank guter Kontakte zur AVG und der räumlichen Nähe, war es kein Problem Pläne und Detailaufnahmen zu bekommen, was mühsames Nachmessen oder Recherchieren ersparte.


Das Modell sollte für die Spurweite 2, also für richtige Regelspur, entstehen. Um dennoch auf möglichst viel Material von der Stange zurückgreifen zu können, wurden USA-Trains-Motorblöcke genutzt und umgespurt, so wie hier beschrieben: viewtopic.php?t=11214




Für die Planung nutzte ich wie immer Corel Draw:


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Ein Großteil der Hauptbauteile konnte ich auf meiner CNC-Fräse erstellen, die nun auch schon seit 2006 Dienst tut.







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Der erste Schritt: Entgraten der Teile







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Das Klappenraster habe ich auf der Außenseite händisch eingekerbt






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Da die Wände jeweils nach oben und unten hin verjüngt sind, war es nötig die Außenwände zu knicken. Hierfür wurden diese auf der Innenseite eingekerbt.




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Seitlicher Blick aufs Profil





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Gesamtsicht auf die Wagenseiten




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Um die Wölbung zu stabilisieren, wurden Spanten eingesetzt. In den Türbereichen sind diese direkt mit den Windschutzwänden verbunden.



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So langsam nimmt der Zweisystemer Kontur an






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Das Dach besteht aus zwei Schichten MDF 3 mm und einer Schicht 2 mm Polystyrol.





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An den Wagenenden musste noch etwas ergänzt werden, damit die Gelenke einschwenken können.
Dies geschah mit Halbrundstücken, gefräst aus 10 mm MDF und jeder Menge Spachtelmasse.



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Die Fahrzeuge weisen mehrere verschiedene Sitztypen auf. 1er, 2er, 4er und im Mittelteil 2er mit dickem Polster, wie man sie aus den Dieseltriebwagen Regioshuttle kennt.

Von jedem Sitztyp fertigte ich ein Urmodell, von dem ich eine Kautschuk-Form anfertigte.



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Die Abgüsse wurden dann schwarz lackiert…




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Und das Sitzmuster, abfotografiert, verkleinert, gedruckt und aufgeklebt.


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Für die Rillen auf dem Dach nutzte ich Halbrundleisten, welche ich bei Gerstaecker in Karlsruhe kaufe. Diese sind nicht nur länger als die bekannten von Evergreen, sondern auch erheblich günstiger.



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Wagenkasten fertig zum Grundieren





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Drehgestellblenden aus Kunststoff und aufgesetzten Lasercutteilen aus Karton.




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Einpassen der Scheinwerferpartie aus gelasertem Karton als herausnehmbares Teil.




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Dann ging es ans Lackieren. Das war nicht ganz so einfach. Denn das Karlsruher Gelb (zumindest das alte) ist nicht RAL-genormt und eher etwas matt-blass.

Also schaute ich mich mal nach verschiedenen nicht-RAL-Farben um…


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Verschiedene wurden ausprobiert…



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… und letztendlich immer wieder Probestücke lackiert und gegen das Vorbild gehalten, bis ein geeigneter Kompromiss gefunden war.




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In einem ersten Schritt bekamen die Wagenkästen dann das passende Gelb.



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Lackieren des grauen Fensterbandes. Hier wirkt der Wagen fast wie ein Stuttgarter DT8…




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Nächste Runde Abkleben: Die roten Zierstreifen


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Stellprobe der lackierten Rohbauten



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Anschließend ging es an den Innenausbau der Wagen, die während dieser Phase in alle Ecken der Bastelwerkstatt verteilt waren.




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Die Gelenkportale bekamen wie beim Vorbild auch noch Faltenbalg-Fortsätze.





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Einer der beiden Zweisystemer bekam eine Bandenreklame





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Einbau der Zielanzeigen. Dabei kam auch ein möglichst an AVG-Farben angepasster Fahrer von Pola rein.





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Einbau der Frontscheiben. Diese sind allerdings gewölbt, sodass man erst eine Form für das Heißverformen den Acrylglasscheiben brauchte. Diese Form entstand aus MDF




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Hierüber wurden dann mit einem Heißluftfön die Frontscheibe in Form gebracht.





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Einbau der Frontscheiben




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Soweit nun, jetzt fehlen eigentlich nur noch die Dachaufbauten




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Dann kamen die Dachaufbauten dran. Lange machte ich mir Sorgen, an Isolatoren zu kommen. Doch der Bedarf war auch durch diverse Ellok-Projekte groß. Zum Glück hat mir hier ein Kontakt aus der Spur II-Szene weitergeholfen, der diese als 3D-Druck anbot.




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Die fleißigen Mitarbeiter der Semmelbahn montieren den Bügel





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Und dann war der Zug auch „schon“ fertig, nach etwa vier Jahren… :-)







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Anschließend erfolgte die Probefahrt in den heimischen vier Wänden







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Zum Abschluss noch einmal die Gegenüberstellung von Stadtbahnwagen und Vollbahn-Lok.



Soviel für heute

Alla hopp!
Major Tom
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Re: Zweisystem-Stadtbahnwagen der Karlsruher AVG in Spur II

Beitrag von Major Tom »

Vielen Dank für den tollen Baubericht.

Das ist wieder ein super Fahrzeug geworden.

Finde ich doch immer wieder Anregungen für meinen Modellbau.

Nette Grüße, Dieter
Völlig losgelöst ...
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