Soda-, Ammonniak-, Natronlokomotiven.

Alles rund um Vor-Bilder, also Modelle in ganz groß

Moderator: baumschulbahner

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t4dliebhaber
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Re: Soda-, Ammonniak-, Natronlokomotiven.

Beitrag von t4dliebhaber »

Ok, ich werd mal sehn, was ich rausfinden kann,
bitte aber um etwas Geduld, mein Abi frisst viel Zeit.
Hoch lebe der Tatzlagerantrieb!

Rechtschreibfehler dürfen ausnahmsweise behalten werden.

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In Leipzig experimentierte man mit der "Natronlokomotiv

Beitrag von t4dliebhaber »

Am 9. Juli 1877 war die erste Dampfstraßenbahn Deutschlands in Kassel in Betrieb genommen, 1880 folgte Berlin. Die sortige Dampfstraßenbahn wurde jedoch nach 3 Wochen wegen der Ruß- und Rauchbelästigung wieder eingestellt.
Der leipziger Stadtrad behielt auch seine ablehnende Haltung gegenüber einer Dampfstraßenbahn. Die LPE (Leipziger Pferdeeisenbahn) hatte sich danach zu richten, verfolgte aber trotzdem die Entwicklung maschineller Antriebsarten.
1884 stellte man wieder Überlegungen an, den kostspieligen Pferdebahnbetrieb zu ersetzen.

Dazu eine kleine Kostenrechnung: Für den ganztägigen Einsatz eines Pferdebahnwagens benötigte man ca. 15 Pferde, welche jährlich über 4400 Futterrationen benötigten.

Außerdem forderte die ständige Netzerweiterung eine Erhöhung der Reisegeschwindigkeit sowie die Möglichkeit der Zugbildung. Der leitende Ingeniuer Küchler der LPE besuchte deutschlandweit Straßenbahnbetriebe, die bereits einen maschinellen Antrieb besaßen, darunter auch Dampfstraßenbahnen, die aber für Leipzig nicht in Frage kamen, ebenso wie eine elektrische Straßenbahn in Offenbach, deren Oberleitungssystem (Schlitzrohrfahrleitung) dem Ingenieur jedoch als zu kompliziert erschien.

Das größte Interesse erzeugte jedoch eine feuerlose Natronlokomotive der Aachen-Burtscheider Pferdebahn. Gebaut wurde diese von Moritz Honigmann, Fabrik für feuerlose Dampfmaschinen, in Grevenberg bei Aachen, nach dem Reichspatent 120 497. Ab Juni 1884 zog sie auf einer kurzen Teststrecke einen ehemals einspännigen Pferdebahnwagen.

Als Energieträger der 6 Tonnen schweren Lok diente erhitzte Natronlauge, die in einer Art Siederohrkessel gespeichert - Wass zu Dampf erhitzte. Damit wurde die stehende Zwillingsdampfmaschine gespeist, deren Kurbelwelle über ein Zahnradgetriebe mit einer Übersetzung von 3:2 eine Achse der zweiachsigen Lok antrieb. Die Kraftübertragung zur zweiten Achse erfolgte über Kuppelstangen. Der Abdampf der Maschine wurde wieder in die Natronlauge eingeleitet, somit eintstand ein theoretisch geschlossener innerer Kreislauf mit geringen Energieverlust. Es trat somit kein Dampf ins freie. Eine Füllung mit erhitzter Natronlauge sollte für ca. 7 Betriebstunden reichen, ehe eine neue Speißung im Betriebshof notwendig geworden wäre.

Besonders vorteilhaft erschien, das von der Lok selbst keine Explosiongefahr ausging, da bei erschöpfter Wärmeenergie die Lok lediglich stehen blieb (was sie auch oft genug tat, dazu weiter unten mehr). Auf einem ähnlichen Verfahren berut die noch heute angewandte Dampfspeicherlok, welche allerdings ohne Natronlauge arbeitet.

1885 entschied sich die LPE eine derartige Natronlok in Leipzig zu erproben. Nach der Genehmigung durch den Rat der Stadt Leipzig traf Anfang 1886 die von der Maschinenfabrik und Eisengießerei Halle in Lizens gebaute Lok in Leipzig ein. Aüßerlich erinnerte sie an einen dreifenstrigen Pferdebahnwagen. Zwei Speisewasserkästen befanden sich hinter den seitlichen Schürzen unter dem Fahrzeugboden. An den beiden auf den Platformen befindlichen Führerständen befanden sich Regulatorhebel, Handbremskurbel, eine Glocke und ein Scheinwerfer mit Reflektor.

Die Lok wurde abweichend von der ursprünglichen Planung nicht im Depot Gohlis sondern in Plagwitz stationiert, wo auch deren Dampfbetriebene "Tankstelle", welche die die erhitzte Natronlauge zur verfügung stellte, installiert wurde. Als Versuchstrecke diente die Lindenauer Linie, da die Verbindung Gohlis-Connewitz ohne vorheriger Erneurung des Oberbaus dem hohen Lokgewicht von fast 8 Tonnen nicht standgehalten hätte.

Vorgesehen war ein Einsatz mit zwei 5 Tonnen schweren Pferdebahnwagen, bei widrigen Bedingungen mit nur einen. Für die Bewältigung der stärksten vorgeschriebenen Steigung musste die Maschine nach Brechnungen des Herstellers genau 34,5 PS leisten in der Ebene bei zügiger Pferdebahngeschwindigkeit hingegen nur 4,5 PS. Anfang Februar 1886 begann man mit ersten Fahrversuchen im Depot Plagwitz, später dehnte man diese Versuche bis zum nahegelegenen Depot Angerbrücke aus.

Bereits am 17. Februar 1886 wurde zur offiziellen Probefahrt geladen. Die vorgesehene Strecke verlief vom Depot Plagwitz nach dem Augutusplatz. Bis zum Brühl/Göthestraße (heute Hauptbahnhof) verlief alles planmäßig, doch in der Steigung zum Augustusplatz, versagte die Maschine und blieb stehen. Die Probefahrt wurde vorzeitig beendet. Bei der Probefahrt platzten einige Siederohre die eiligst repariert wurden. Ab dem 15. Mai 1886 fanden dann wieder Probefahrten im Gebiet des Stadtteils Lindenau statt. Allerdings holte man sich dafür Personen in das Unternehmen, die wissen müssten wie sie mit dem ungewöhnlichen Gefährt umzugehen hat. Darunter waren der Lokomitvführer Uhlig der Königlich-Sächsischen Staatseisenbahn, und ein Ingenieur der Maschinenfabrik Halle.

Das letzte erhaltene Zeugniss der Natronlok ist ein Bericht der LPE-Direktion an den Rat der Stadt vom 27. August 1886, in dem von "guten Versuchsergebnissen" die Rede war (gegenüber dem Rat der Stadt, hat angeblich vieles Funktioniert, was aber in wirklichkeit nichteinmal annähernd seinen Dienst tat, wer möchte kann mich ja mal nach der Entstehung der leipziger "Breitspur" von 1458mm fragen :shock: ). Aber zu diesem Zeitpunkt war der Kupferkessel der Tankstelle schon von der Natronlauge zerfressen, sodass in Erwägung zog die Lauge direkt in der Lok zu erhitzen was aber damals ein nicht lösbares Problem darstellte, und der offensichtlich schlechte Eindruck der offiziellen Probefahrt, veranlaßte die LPE das Projekt Natronlok aufzugeben.

Ich Aachen beendete man die Versuche bereits im März 1885, aufgrund starker Korrosionserscheinugen im Kessel, mit negativen Ergebnissen.

Der Aufsichtsrat legte am 5.März 1890 das Projekt ebenfalls ad acta, mit einer lakonisch festgelegten "Vergütung von 6000 Mark für die Natronlok" an die LPE.

Somit behielt die LPE bis zu ihrem Ende 1895, den Pferdebahnbetrieb als einzige Antriebsform bei, andere Antriebsformen erschienen der Gesellschaft als nicht ausgereift genug.
Am 16.April 1897 schlug dann auch die Stunde der Pferdebahn, nachdem in nur 1 1/2 Jahren das gesamte Netz von den Nachfolge-Gesellschaften (Leipziger Elektrische Straßenbahn "Die Rote" und Grosse Leipziger Straßenbah "Die Blaue") elektrifiziert wurde.


So ich hoffe das stillt erstmal den Wissensdurst :wein: , wenn Fragen auftreten dann postet einfach, über eine Resonanz zu den zwei Stunden schreibarbeit würde ich mich ebenfalls freuen.

Achso wer Räschdschreibfähler findet, der darf sie ausnahmsweiße behalten :D, vielleicht kann man ja was für die Gartenbahn draus basteln ...

Ich wüsche einen "Ruß-und Rauchfreien" Sonntag-Abend :D
mfg Thomas
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Die Bilder zum Experiment

Beitrag von t4dliebhaber »

Natronlok Modell (t4dliebhaber)
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Natronlok Übersichtszeichnung (t4dliebhaber)
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Und hier noch ein Bild der besagten Goethestraße, die Steigung ist gut zu erkennen, am Fuße dieser Straße steht heute der Leipziger Hauptbahnhof.

Goethestraße Leipzig (t4dliebhaber)
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Noch eine Angabe zu den Quellen:

Alle Bilder und der Inhalt beruhen auf den Angaben der Betriebschronik der LVB: "Vom Zweispänner zur Stadtbahn", erhältlich im Straßenbahnmuseum Leipzig oder im Online-Shop: http://www.strassenbahnmuseum.de/
Zuletzt geändert von t4dliebhaber am Mi 8. Okt 2008, 18:01, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Soda-, Ammonniak-, Natronlokomotiven.

Beitrag von UKB »

Hallo t4dliebhaber
Vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht.
Ich selbst wurde auf das Thema Feuerlose Loks in Delmenhorst aufmerksam, weil dort in der alten "Nordwolle" eine Dampfspeicherlok steht.
Bei Bedarf habe ich Bilder von ihr.

MFG
Alfred
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Re: Soda-, Ammonniak-, Natronlokomotiven.

Beitrag von Sandbahner »

Hallo,
wenn ich richtig informiert bin, war ein Modell der Leipziger Lok in Schkeuditz zu sehen:
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MfG

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Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.
(Bert Brecht)
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Re: Soda-, Ammonniak-, Natronlokomotiven.

Beitrag von t4dliebhaber »

Ja das ist ein Modell der Leipziger Lok,
ich glaube weitere Modelle von historischen Fahrzeugen des selben Erbauers stehen als Leihgabe im Straßenbahnmuseum Möckern, wirklich sehenswerte und umfangreiche Modellsammlung, genau wie die Sammlung an Originalfahrzeugen.
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Re: Soda-, Ammonniak-, Natronlokomotiven.

Beitrag von Schienenbus »

Hallo,
wat es alles gibt.... Ich kannte weder das Prinzip noch die dazu gehörigen Lokmotiven... :unknown:

Aber man sollte ja immer dazu lernen! Ich bin also auf weitere Beiträge zu diesem Thema sehr gespannt!!!

Und damit alle "Feuerlosen" was zum anschauen bekommen werde ich mich nun auf den speicher verkrümeln. Irgendwo in den Weiten der Eisenbahnzeitschriften habe ich vor kurzem ein Bild einer 600mm Dampfspeicherlok entdeckt. :lupe: Das ist doch bestimmt was für die Feldbahner hier im Forum!


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